Typisch Mann und Frau:
Wie kommen wir zu diesen Beziehungsproblemen?


In meiner Arbeit als Paartherapeut begegne ich oft folgende Situation: Einer der Partner, meist die Frau, hat das Gefühl, dass der Mann in der Beziehung emotional nicht genug zur Verfügung steht. Dieser Mangel an emotionalem Kontakt verursacht Stress, Angst und Ärger in ihr. Ihr fehlt ein gefühltes Gefühl der Verbundenheit. Sie wird anklagend, vorwurfsvoll und kritisch, weil sie sich emotional im Stich gelassen fühlt. 
Die tiefere Motivation hinter ihrem Verhalten ist eigentlich die, dass sie versucht, den Mann zu erreichen und ihn dazu zu bringen, sich emotional zu engagieren.


Leider versteht der Mann oft nicht die Beweggründe und Bedürfnisse der Frau. Dem Mann erscheint das Verhalten der Frau wie eine Kritik und ein Ausdruck seiner Unzulänglichkeit. Er fühlt sich abgewertet und nicht respektiert. Das wiederum macht ihn sehr verletzt, wütend und unsicher in der Beziehung. In der Regel wird der Mann dann defensiv und intellektualisiert, zieht sich emotional noch mehr zurück oder geht zum Gegenangriff über. Dies wiederum verstärkt das Gefühl der Frau, nicht gesehen und verstanden zu werden und bestätigt ihre tiefe Angst vor dem Verlassenwerden.


Dieser Teufelskreis wiederholt sich oft mehrmals am Tag auf unterschiedliche Weise und verstärkt dann die Frustration in der Beziehung. 
Beide Seiten haben Schwierigkeiten, den zugrunde liegenden Wunsch, gesehen und anerkannt zu werden, zu erkennen und zu kommunizieren. Sie kommunizieren oftmals ihre Bindungsbedürfnisse, ohne offen zu sein und ohne sich verletzlich zu machen. Es scheint sicherer zu sein, einfach Vorwürfe zu machen, als sich verletzlich zu machen und zuzugeben, dass man Nähe und Wertschätzung braucht. Frühere schlechte Erfahrungen in nahen Beziehungen können diese Angst, sich zu öffnen, verstärken.


Die zugrundeliegenden universellen Bindungsbedürfnisse steuern auch die Verhaltensdynamik des Paares. Das Missverständnis, worum es bei den Vorwürfen und dem Zurückziehen wirklich geht, erzeugt starke und verletzte Gefühle, abgelehnt und nicht respektiert zu werden.
Dieses negative Interaktionsmuster eskaliert leicht, bis es dann in einer Trennung endet. Die verletzten Gefühle sind dann einfach zu stark geworden und es ist zu schmerzhaft, die Beziehung fortzusetzen.


In dem Therapieansatz, den ich praktiziere, EFT (Emotionsfokussierte Therapie), versucht man zunächst, die Person, die sich emotional aus der Beziehung zurückgezogen hat, dazu zu bringen, sich zu öffnen, wie gesagt: meist der Mann. Danach folgt die Arbeit mit dem Partner, der anklagend ist und gegen eine unsichere Bindung in der Beziehung protestiert, meist die Frau. 
 
Meiner Erfahrung nach fällt es Männern leider oft schwer, mit ihren Gefühlen in Kontakt zu kommen und sich emotional zugänglich zu machen. Bei vielen Männern gibt es die Vorstellung, dass Verletzlichkeit und emotionale Empfänglichkeit eine "unmännliche" Schwäche ist. Sie verstecken sich auch gerne hinter ihrer Rationalität und "flüchten" in die linke Gehirnhälfte. Der Protest der Frau gegen seine emotionale Unzugänglichkeit wird daher oftmals als "irrational" und "ungerecht" abgetan.

 
Aber damit eine Beziehung funktioniert, ist es wichtig, sich verletzlich zu machen und mit seinen eigenen Gefühlen in Kontakt zu kommen. Denn nur wer mit seinen eigenen Gefühlen in Kontakt ist, hat die Fähigkeit, auch mit den Gefühlen des Partners in Kontakt zu kommen. Diese Fähigkeit ist absolut zentral für jede sichere Verbindung.


Die Herausforderung in jeder Beziehung besteht darin, sich zu trauen, sich emotional verletzlich zu machen, um emotional zugänglich zu werden. Verletzlichkeit ist also keine Schwäche, sondern eine große Stärke. Denn nur wer den Mut hat, sich verletzlich zu machen, kann das innige Glück erleben, das Nähe und sichere Abhängigkeit untereinander bringen. Verletzlichkeit macht uns größer, weil wir aufnahmefähig werden. Sie bereichert das Leben um eine wichtige Dimension: erlebte Liebe. Das ist es, wonach wir uns in unseren Partnerschaften sehnen.

Es ist definitiv das Risiko wert.